Musik
Bruce Springsteen – welches Amerika repräsentiert er?
Springsteen vs Trump

Bruce Springsteen in Berlin (Quelle: heldmann.photography)
GDN -
Bruce Springsteen sei der „Botschafter des anderen Amerikas“ titelte eine Zeitung nach seinem diesjährigen Konzert in Berlin. Was war passiert? Springsteen hatte das Konzert für eine rund zehnminütige politische Suade gegen die US-Regierung genutzt. In Frankfurt wiederholte es dies bei einem insgesamt fünf Minuten kürzeren Konzert.
Dass Bruce Springsteen nicht nur einer der größten Rockmusiker der Gegenwart ist, sondern sich auch immer wieder politisch geäußert hat, ist nicht neu. So hat er wiederholt gescheiterte Präsidentschaftskandidaten der US-Demokraten wie John Kerry, Hillary Clinton und Kamela Harris unterstützt. Mit dem als übergröße Lichtgestalt gestarteten Präsidenten Obama war (und ist) er befreundet. Allerdings ist dessen politische Bilanz so mau, dass von ihm kaum mehr in Erinnerung geblieben ist, als ein Bild aus dem Situation Room während der Tötung Osama Bin Ladens.
Barack Obama und den heutigen US-Präsidenten Trump verbindet bei aller politischen und wohl auch menschlichen Differenz etwas, das eine wichtige Eigenschaft für eine erfolgreiche Kandidatur ist: Sie schaffen es, die Menschen einzunehmen und für ihre Person zu begeistern. Bei Obama habe ich diese Wirkung bei zweien seiner öffentlichen Auftritte erlebt: Einmal in Berlin und dann bei der Abschlusskundgebung ihres Wahlkampfs, als er ohne große Anstrengung mit seiner kurzen Rede Hillary Clinton völlig in seinen Schatten stellte. Trump habe ich nie live erlebt, aber er muss eine ähnliche Wirkung auf Menschen haben. In einem Gespräch mit einem Kolumnisten der New York Times sagte Vizepräsident Vance, ein Mann, der Trump so nahe ist, wie sonst kaum jemand: „Er hat ein besseres Gespür für Menschen als jeder andere, den ich je getroffen habe. Er hat ein geradezu bizarres Gespür für Menschen.“
Was Trump kennzeichnet, ist sein intuitives Gespür für die Macht von Bildern. Wer erinnert sich nicht an seine Reaktion nach dem Attentat in Butler und das damals entstandene Bild mit Blut im Gesicht und der trotzig in den Himmele gereckten Faust? So ist es auch wenig überraschend, dass er die Steilvorlage der Randalierer in Los Angeles sofort genutzt hat. Sie haben auf den Trümmern ausgebrannter Autos die mexikanische Flagge gehisst, so, wie es etwa die US-Army im zweiten Weltkrieg in Japan und die Truppen der UdSSR in Berlin gemacht haben. Trump erklärte daraufhin, er werde "nicht zulassen, dass eine amerikanische Stadt von einem ausländischen Feind überfallen und erobert wird". Etwas, das Springsteen in seinen Konzerten scharf kritisierte. "Sie setzen das amerikanische Militär auf Amerikas Straßen ein, basierend auf Unwahrheiten über eine ausländische Invasion", sagt er. Nachdem nun aktuell das Bundesberufungsgericht den Einsatz einstimmig für legal erklärte, bleibt abzuwarten, ob Springsteen an dieser Kritik festhalten wird.
Bruce Springsteen gefällt die Politik Trumps und seiner Regierung nicht. Er ist US-Bürger und damit ist es quasi seine staatsbürgerliche Pflicht, sich mit der Politik seiner Regierung auseinanderzusetzen, sie zu kritisieren und seine Stimme dafür oder dagegen zu erheben. So wie für alle US-Bürger. Nur, warum macht er das in Deutschland und dann noch bei den Konzerten, für die die Besucher von hundert Euro aufwärts bis zu einem mehrfachen dieses Preises bezahlt haben, um seine Musik zu hören? Weil ihm in den USA kaum jemand zuhört? Steven Van Zandt jedenfalls meinte in einem Interview vor einigen Wochen, die Band habe dort rund die Hälfte der Fans verloren.
Mal ernsthaft, was wissen wir denn in Europa, in Deutschland über die Politik Trumps? Doch nur das, was uns unsere Medien vorsetzen. Wer macht sich denn die Mühe und schaut sich regelmäßig die Politikberichte im US-TV an, und dann sowohl bei CNN und bei FOX News? Wer von denen, die Springsteen bei seiner Agitpropshow zujubelt, hat die „Hillbilly Elegy“ von J.D. Vance gelesen? Die Leser wären möglicherweise erstaunt, wie viele Parallelen es gibt zwischen den Geschichten, die Springsteen in seinen epochalen Werken über die „einfachen Menschen“ in den USA erzählt hat und dem, was Vance in seinem Buch erzählt. Der Unterschied: Springsteens Geschichten sind aus dem letzten Jahrhundert, die von Vance aus diesem.
Bruce Springsteen hat für sich den amerikanischen Traum verwirklicht. Er hat es geschafft, sich mit Talent, Fleiß und viel Anstrengung vom Sohn einfacher Eltern mit irisch-/italienischer Familienbiografie zum Milliardär mit großem Landsitz hochzuarbeiten, der seiner Tochter auch mal ein Sprungpferd für eine Million US-Dollar kaufen kann. Auf diesem Weg hat er als grandioser Songschreiber Geschichten erzählt, die wahrscheinlich viel mit seinem Leben zu tun hatten. Diese Geschichten, seine großen Werke, stammen alle aus der ersten Hälfte seines Schaffens. Nach „The Rising“ als musikalische Reaktion auf 9/11 kam nicht mehr viel wirklich Großes von ihm.
Das sieht man auch an den Setlists seiner Konzerte, wo die Werke von damals dominieren. Sie sind es auch, die die Fans besonders mitreißen. Sie sind es, die die Menschen kennen, die keine ausgesprochenen Fans sind, weil sie im Radio laufen. Es gibt eine deutsche Facebook-Gruppe, die im Radio gespielte Springsteen-Titel dokumentiert. Auch wenn es keine wissenschaftlich fundierte Studie ist, dürfte die Liste mit inzwischen fast 6000 Einträgen repräsentativ sein. Titel aus der jüngeren Schaffenszeit des Musikers, wie „Ghost“, „Rainmaker“ oder „Letter to you“, tauchen dort nur selten auf. Es sind die Klassiker aus dem letzten Jahrhundert, die gespielt werden.
Als ich meiner Schwiegertochter sagte, ich würde zum Bruce Springsteen Konzert nach Frankfurt gehen, meinte sie ernsthaft erstaunt: „Ach, den gibt es noch?“ Seine Fans sind mit ihm alt geworden. Klar, man sieht bei den Konzerten auch jüngere, aber der Altersdurchschnitt dürfte nach meiner Schätzung deutlich über 40 Jahren liegen. Die Faszination der Liveauftritte Springsteens und der E Street Band ist ungebrochen. Sie schaffen es, 60-70.000 Menschen allein mit der Musik und ihrer Bühnenpräsenz von der ersten Minute des Auftritts an bis zum Ende drei Stunden später mitzureißen. Sie brauchen dazu keine Pyrotechnik, keine eingespielten Videofilme, die vom Geschehen auf der Bühne ablenken und keine bombastische Lightshow. Wenn man während des Konzerts auf die Toilette muss, hat man immer das Gefühl etwas verpassen zu können. Ich habe noch keine Liveband erlebt, die allein mit ihrer Musik so begeistern kann, wie die E Street Band mit ihrem „Boss“. Und allein aus beruflichen Gründen habe ich jedes Jahr fast einhundert Livekonzerte, kleine in Clubs, mittlere und große. Da sind tolle und beeindruckende Events darunter, aber an Springsteen reicht nichts heran.
Umso mehr stört mich, dass er seine Konzerte nun missbraucht, um politisch zu agitieren. Mut braucht es dafür nicht. Das Publikum wird nicht weglaufen (okay, vielleicht kommen auch in Europa einige deswegen nicht; es war jedenfalls auffällig, wie viele Plätze in Frankfurt leer blieben und dass selbst die sonst im Nu ausverkauften Tickets für den Front of Stage-Bereich für 200 € bis kurz vor Konzertbeginn bei Ticketmaster zum regulären Preis zu haben waren), er muss anders als in einer Autokratie oder Diktatur, bei seiner Rückkehr in die USA weder mit Verfolgung noch Arbeitslager rechnen.
Anders etwa als die Frauen von Pussy Riot, die sich für ihre Kunst und damit verbundene Kritik an der russischen Regierung und ihrer Politik sehr schnell im Gefängnis und Arbeitslager wiederfanden. Dazu gehört wirklich Mut. Selbst heute noch, wo die Protagonistinnen im Ausland leben, sind sie weiter in Gefahr. So mancher russischer Oppositionelle im Ausland ist schon eines plötzlichen und unerwarteten Todes gestorben. Dass der CIA einen US-Bürger wegen einer regierungskritischen Meinungsäußerung umbringt, ist so wahrscheinlich wie die kurz bevorstehende Hochzeit des Papstes.
Der niederländische liberale Politiker Bas Erlings hat beschrieben, warum Medien, Fans und geneigte Öffentlichkeit trotzdem darauf anspringen und Springsteen Applaus bekommt: «Wenn man dem menschlichen Gehirn das Gefühl gibt, einen klaren Feind zu haben, blendet es alles andere aus.» Indem er Trump als „Clown auf dem Thron“ herabwürdigt, wendet Springsteen genau dieses populistische Prinzip an, das Erlings benennt. Übrigens, falls Trump wirklich so gefährlich wäre, wie er gelegentlich hingestellt wird, sind solche Zuschreibungen wie „Clown“ kontraindiziert, verharmlosen sie doch. Wer nimmt einen Clown schon ernst? Das hat auch bei „Birne Kohl“, „Mutti Merkel“ oder „Scholzomat“ prächtig funktioniert, um von deren Politik abzulenken.
Vielleicht ist Springsteen enttäuscht, dass die US-Bürger in einer demokratischen Wahl einen Politiker gewählt haben, den er verachtet und der nach der Wahl genau das macht, was er vorher angekündigt hat. Seine polarisierende und von Springsteen scharf kritisierte Ausweisungspolitik wird, so eine Umfrage des Senders CBS vor wenigen Tagen, von 54% der US-Bürger unterstützt. Vielleicht hat er aber auch einfach nur das Gespür für die Stimmung der Menschen verloren.
Wenn er „das andere Amerika“ repräsentiert, ist es das der wohlsituierten Bewohner der Ballungszentren an der Ost- und an der Westküsten, derjenigen, die die Eliteuniversitäten besuchen können, derjenigen, für den der Rest das Landes aus den „Fly over states“ besteht, auf deren Bewohner sie mehr oder weniger verächtlich - buchstäblich - hinabschauen. Dort lebt vor allen „die Hälfte der Fans“, die die Band verloren hat, die Coverbands ausbuhen, wenn sie Springsteen Titel spielen und die lieber Country-Musik hören. Sie fühlen sich weder von den Demokraten noch von Springsteen vertreten. Ob sie bei Trump gut aufgehoben sind, ist eine ganz andere Frage. Die müssen sie aber selbst beantworten. Und nicht wir in Deutschland und Europa.
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